Frau Bakker, Scherben bringen Glück, heißt es. Mit Blick auf den Klimaschutz muss das leider bezweifelt werden…
Das ist richtig. Scherben, Blechschäden oder Rohrbrüche sind grundsätzlich schlecht für die CO2-Bilanz. Denn Glas zu ersetzen, Autos zu reparieren oder Hauswände zu trocknen, kostet Ressourcen. Wir befassen uns damit, wie künftig umweltschonender instandgesetzt werden kann. Aber generell gilt: Wer Schäden vermeidet, handelt nachhaltig.
Was kann ein großer Sachversicherer dazu beitragen?
Wir betreiben Prävention auf vielen Ebenen. Das reicht von Checklisten mit Tipps für konkrete Situationen über unser Tool der Wohnort-Risikobewertung, Ratgeberseiten, etwa zu Wasserschäden, die Beratung zu Brandrisiken für Unternehmen bis hin zu Unfallforschungsprojekten und digitalen Anwendungen, die für jeden unmittelbar erlebbar sind. Ein Beispiel, das wir gerade testen und das ich für wirklich grandios halte, ist unsere Unwetterwarnung per SMS.
Wie funktioniert dieser Service?
Sie sitzen als Allianz Kundin oder Kunde mit Nachbarn auf der Terrasse und bekommen eine Nachricht auf Ihr Handy, dass in 20 Minuten ein schweres Gewitter losbricht. Sie und ihre Freunde können dann die Zeit nutzen, um nach Hause zu gehen, Sonnenschirme einzuklappen, Fenster zu schließen und das Auto in die Garage zu fahren. Wir testen diesen Service gerade mit mehr als einer Million Kundinnen und Kunden – die meisten sind total begeistert. Unser System basiert auf den besten Wetterdaten der Welt, nutzt künstliche Intelligenz und verschickt die Warnungen adressgenau. Wenn das Unwetter nur auf der anderen Seite des Flusses zu erwarten ist, kriegen Sie die SMS nicht.
Können Sie beziffern, wie viele Markisen oder Autos dadurch schon gerettet beziehungsweise wie viele CO2-Emmissionen vermieden wurden?
Testfeldteilnehmerinnen und -teilnehmer melden häufig zurück, dass sie durch die SMS Schäden verhindert haben. Aber exaktes Messen ist schwierig: Nicht eingetretene Ereignisse lassen sich kaum erfassen. Unbestritten hilft aber jede gelungene Prävention, den CO2-Fußabdruck signifikant zu verbessern. Und es spart natürlich auch Kosten.
Wann und wie können Allianz Kund:innen diesen SMS-Service nutzen?
Wir starteten Ende 2022 mit einem Testfeld von 15.000 Nutzerinnen und Nutzern. Da dieser kostenlose Service sehr positiv aufgenommen wurde, erweiterten wir den Empfängerkreis inzwischen auf rund 1,3 Millionen Kundinnen und Kunden. Geplant ist, dass wir diesen Service zukünftig noch mehr Kund:innen anbieten. Wir werden rechtzeitig informieren.
Schäden vorzubeugen, lohnt sich
Was entgegnen Sie, wenn jemand sagt: Die Allianz ist nur wegen des eigenen Kostenvorteils an Prävention interessiert?
Natürlich ist es so, dass auch die Allianz davon profitiert. Aber eben nicht nur. Schäden belasten jeden Betroffenen, das Klima und die Gesamtwirtschaft. Wertschöpfung entsteht, wenn in einer Ökonomie verfügbares Geld sinnvoll investiert wird, anstatt es zur Beseitigung unnötiger Schäden auszugeben. Von Prävention profitieren alle.
Ist Klimaschutz, nüchtern betrachtet, nichts anderes als Schadenprävention?
Das kann man so sehen, denn die Erderwärmung lässt das Extremwetter- und damit das Schadenrisiko durch Unwetter oder Waldbrände steigen. Die Allianz Gruppe verfolgt klare Nachhaltigkeitsziele und kann als Unternehmen mit mehr als 160.000 Mitarbeitenden weltweit einen Beitrag leisten. Die größten Hebel sind unsere Kapitalanlage, CO2-Einsparungen in den eigenen Betrieben und Prozessen, etwa indem unsere Sachverständigen vermehrt Schäden per Videoanruf begutachten, als sich ins Auto zu setzen, sowie unser Schadenmanagement insgesamt: Die Allianz Versicherungs-AG gab 2022 rund 7,4 Milliarden Euro aus, um Schäden für unsere Kundinnen und Kunden zu beseitigen. Je mehr wir davon nachhaltig einsetzen, desto besser für den Klimaschutz.
Können Sie ein konkretes Beispiel geben?
In der Autoversicherung arbeiten wir daran, dass unsere Partnerwerkstätten mehr reparieren statt austauschen. Hier müssen wir in Deutschland das Problem noch viel stärker kommunizieren. Bei jeder Delle ein ganzes Neuteil einzubauen, obwohl es gleichwertige oder sogar bessere Alternativen gibt, ist aus Kosten- und CO2-Gründen unsinnig. Das Allianz Zentrum für Technik hat einige Beispiele genau durchgerechnet: Bei der Windschutzscheibe eines VW ID.3 können 99,5 Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden, wenn ein Steinschlagschaden repariert wird, anstatt die Scheibe komplett auszutauschen – und es kostet bis zu 1200 Euro weniger. Bei der Instandsetzung einer Ford-Fiesta-Seitenwand reduzieren sich die Kosten um circa 1700 Euro, die CO2-Emissionen sinken um 59,4 Prozent. Würde man in Deutschland die Reparaturquote in Autowerkstätten um nur zwei Prozentpunkte erhöhen, ließen sich rund 5000 Tonnen Kohlenstoffdioxid einsparen, das entspricht dem jährlichen Energieverbrauch von 860 Haushalten.
Warum wird nicht längst mehr repariert?
Trotz der zuvor beschriebenen Vorteile gibt es einen Interessenkonflikt, denn teure Ersatzteile erhöhen den Umsatz der Werkstätten. Ein Umdenken ist hier notwendig. Aber auch bei unseren Kundinnen und Kunden müssen wir noch Überzeugungsarbeit leisten. Obwohl laut einer Allianz Umfrage 89 Prozent der Verbraucher einer Reparatur mit Gebrauchtteilen zustimmen würden, sieht die Realität noch anders aus. Vielen Kunden sind die Möglichkeiten einer nachhaltigen Reparatur gar nicht bewusst. Oder es wird nach dem Motto gehandelt:
Mir steht ein Neuteil zu, dann schöpfe ich das auch aus – obwohl es gar keinen Mehrwert hat. Eine Instandsetzung ist nach Möglichkeit immer vorzuziehen, nicht nur aus Gründen der Nachhaltigkeit, sondern auch hinsichtlich des Werterhalts und der Langlebigkeit des Fahrzeugs. Ein weiteres Beispiel sind Autoscheinwerfer: Wenn hier die Polycarbonat-Scheibe zerkratzt oder vergilbt ist, ansonsten alles funktioniert, muss laut deutschen Regeln ein komplett neuer Scheinwerfer eingebaut werden – ein riesiger Apparat mit Gehäuse, Elektronikbauteilen etc. Dabei ließen sich Beschädigungen in vielen Fällen durch verfügbare Reparatursets instand setzen, wie es in anderen Ländern auch gemacht wird. In Deutschland ist die Reparatur einer Scheinwerferscheibe nicht zugelassen. Kurzum: Sowohl bei der Prävention als auch im Schadenmanagement tun wir bereits einiges für mehr Nachhaltigkeit, sind aber noch lange nicht da angekommen, wo wir eigentlich sein wollen.
Laut der EU-Taxonomie-Verordnung 2020/852 müssen Versicherer dafür sorgen, dass sie künftig – auch unter anderen klimatischen Bedingungen – für Kund:innen da sind. Was tut die Allianz dafür?
Wenn Extremwetter häufiger zu erheblichen Schäden führen, ist dies auch für Versicherer und Rückversicherer ein Problem. Unsere Kundinnen und Kunden müssen ihre Dinge weiter zu fairen Preisen versichern können. Unsere wichtigste Rolle in der EU-Taxonomie besteht darin, bei Prävention zu unterstützen und die Auswirkungen von Klimaschäden zu reduzieren.
Gibt es Überlegungen, künftig stärker zu honorieren, wenn Kundinnen und Kunden Vorbeugung betreiben?
Versicherungen haben risikoreduzierendes Verhalten schon immer belohnt. Beispielsweise ist ein kleiner VW Polo günstiger zu versichern als ein Porsche. Auch wer wenige Kilometer fährt, zahlt weniger. Fahrassistenzsysteme, die Unfälle vermeiden helfen, können sich günstig auf die Typklasse des Fahrzeugs auswirken. Und generell gewähren wir in der Autoversicherung einen Nachlass von bis zu 20 Prozent auf rein batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge.
Welche Möglichkeiten haben Sie, nach einem Schadenfall nachhaltiges Verhalten zu belohnen?
Bei der Wohngebäude- und Hausratversicherung zahlen wir seit Kurzem bei unseren aktuellsten Produkten im Schadenfall mehr, wenn nachhaltig repariert oder ersetzt wird. Muss zum Beispiel der Kühlschrank nach einem Schadenfall ersetzt werden, leisten wir in der Hausratversicherung jetzt zehn Prozent mehr für eine bessere Energieeffizienzklasse. Bei größeren Schäden zahlen wir bis zu 5000 Euro mehr für Nachhaltigkeit. In der Gebäudeversicherung unterstützen wir, wenn das ohnehin beschädigte Dach beim Wiederaufbau mit einer Solaranlage ausgestattet wird. Wir ersetzen diese Verbesserung nicht komplett, aber vielleicht können wir einen wichtigen Anreiz setzen. Ähnlich ist es in der Autoversicherung: Wer in der Vollkaskoversicherung einen Totalschaden mit seinem Verbrennerauto hat und danach auf ein E-Auto umsteigt, bekommt von der Allianz zusätzlich zum versicherten Wert 2500 Euro. Auch diese „Wechselprämie“ kann einen Anreiz setzen.
Eine weitere Idee, mit der wir uns auseinandersetzen, sind neue Wege in der Autoversicherung. Würden Kundinnen und Kunden im Schadenfall statt eines Ersatzfahrzeugs auch Bahntickets 1. Klasse akzeptieren? Oder gar ein neues, hochwertiges E-Bike, das sie behalten dürfen? Wir würden als Versicherer dann eher Mobilität garantieren als ein Ersatzauto. Es wäre keine kostengünstigere Schadenregulierung, sondern eine nachhaltigere. Mit diesen Fragen beschäftigen wir uns, aber auch hier ist die Umsetzung im Detail nicht einfach.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Sind Sie als Schaden Vorständin automatisch sehr vorsichtig? Oder doch eher risikobereit?
Ich habe eine Familie mit zwei kleinen Kindern, da suche ich keine Hochrisiko-Situationen und fordere mein Glück nicht heraus. Wenn ich zum Beispiel die eingangs erwähnte Unwetterwarnung bekomme, bringe ich alles in Sicherheit, fahre das Auto in die Garage, schließe das Tor und tue alles Mögliche, um Schäden zu vermeiden. Ich liebe diese SMS! Vor allem, weil sie einem viel Ärger ersparen kann – das steht bei mir, ehrlich gesagt, in diesen Situationen an erster Stelle.
Nachhaltigkeit ist dann nur ein schöner Nebeneffekt?
Ich würde nicht sagen „nur“. Denn es ist großartig, eigentlich das Beste, das wir erreichen können, wenn Nachhaltigkeit als etwas Schönes erlebt wird. Zu viele Menschen denken immer, dass Nachhaltigkeit uns etwas kostet. Dabei ist es in vielen Fällen umgekehrt: Wenn wir nachhaltig handeln, bringt es uns einen Vorteil, nicht nur der Umwelt.