Nachhaltigkeit in der Sachversicherung

»Wir tragen aktiv zur Transformation bei«

29. März 2023
Frank Sommerfeld, Vorstandsvorsitzender der Allianz Versicherungs-AG, erklärt im Interview, mit welchen Mitteln die Sachversicherung den CO2-Ausstoß weltweit verringern möchte.
Frank Sommerfeld, CEO der Allianz Versicherungs-AG

Herr Sommerfeld, die Allianz Sachversicherung betreibt keine Industrieanlagen und baut keine Verbrennungsmotoren – was genau heißt es, wenn ein Versicherer nachhaltig werden will?

Im Grunde unterscheiden wir uns da gar nicht so sehr von anderen Unternehmen. Zuerst müssen wir die eigenen Abläufe analysieren und verbessern – das ist die erste Säule: Wo in unserer Wertschöpfungskette entstehen CO2-Emissionen? Wie kann ich sie verringern, um das Klima zu schonen? Das fängt bei Sachverständigen und Vertretern und Vertreterinnen an, die mit dem Auto zu Terminen fahren, geht über das Licht und die Wärme in unseren Bürogebäuden bis hin zu den Dokumenten, die wir erzeugen. Wichtig ist: Ich darf nicht mit dem Finger auf andere zeigen, sondern muss bei mir selbst anfangen.

Wie weit sind Sie?

Wir machen große Fortschritte: 2019 verursachten die Mitarbeitenden der Allianz Versicherungs-AG pro Person durch ihre Tätigkeiten rechnerisch noch circa 1,53 Tonnen CO2 pro Jahr. 2021 waren es 842 Kilogramm – das sind 45 Prozent weniger.

Wodurch wurde das erreicht?

Zum Teil dadurch, dass wir auf 100 Prozent nachhaltigen Strom umgestellt haben. Gleichzeitig setzen wir verstärkt digitale Technik ein, auch in der Kundenberatung und der Schadenbegutachtung. Wir haben den Papierverbrauch in drei Jahren um knapp 30 Prozent reduziert und bei Dienstreisen mehr als 60 Prozent CO2 eingespart. Dazu trug auch Corona bei, das ist klar. Aber wir haben die Entwicklung genutzt und wollen sie weiter vorantreiben.

Was ist außerhalb der eigenen Abläufe zu verbessern?

Die zweite Säule betrifft unsere Kernleistungen, unsere Produkte und die Kapitalanlagen. Auch in diesen Bereichen wollen wir nachhaltiger werden.

Eine Versicherungspolice, die ich abhefte oder – besser noch – abspeichere, emittiert kaum Treibhausgase.

Das ist richtig, aber als Sachversicherer haben wir trotzdem wirkungsvolle Hebel in der Hand: Zum einen wollen wir Kunden und Kundinnen mit Elektrofahrzeugen, Solarpanels, Windparks und modernen Anlagen zur Wasserstoffproduktion bestmöglich versichern und informieren. Damit positionieren wir uns als Partner nachhaltiger Technologieanbieter und tragen aktiv zur Transformation bei. Außerdem geben wir bei der Allianz Versicherungs-AG jährlich rund sechs Milliarden Euro aus, um Schäden für unsere Kundinnen und Kunden zu beseitigen. Wenn es uns gelingt, einen Teil der beschädigten Sachen nachhaltig zu ersetzen, kann daraus ein echter Beitrag für die Umwelt entstehen.

Können Sie ein Beispiel geben?

Nehmen wir die Autoversicherung: Reparieren ist nachhaltiger, als Neuteile einzusetzen. Das Allianz Zentrum für Technik hat errechnet, dass bei der Windschutzscheibe eines VW ID.3 rund 99 Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden, wenn repariert statt ausgetauscht wird – und es kostet bis zu 1200 Euro weniger. Bei der Instandsetzung beispielsweise einer Seitenwand von einem Ford Fiesta reduzieren sich die Kosten um circa 1700 Euro, die CO2 -Emissionen sinken um 60 Prozent. Würde man in Deutschland die Reparaturquote in Autowerkstätten um nur zwei Prozentpunkte erhöhen, ließen sich rund 5000 Tonnen CO2 einsparen, das entspricht dem jährlichen Energieverbrauch von 860 Haushalten. Ähnliche Effekte gäbe es beim verstärkten Einsatz von zertifizierten Gebrauchtteilen. Wenn nach einem Unfall-Totalschaden die Front eines Neuwagens kaputt ist, könnte man die Rückleuchten trotzdem weiterverwenden und bei Bedarf für ein baugleiches Modell nutzen, anstatt alles zu verschrotten. Das würde die Emissionen und die Kosten drastisch senken.

Umweltschutz und finanzielle Entlastung – warum ist reparieren statt tauschen nicht längst der Standard?

Weil sich nicht für alle Beteiligte diese Win-win-Situation ergibt. Hersteller und Werkstätten sind nicht besonders erpicht darauf, weil sie mit Ersatzteilen mehr verdienen als durch Reparaturen. Wir brauchen hier von allen Seiten noch mehr Unterstützung, um das hinzubekommen. Wir sind dazu bereits mit den Interessenvertretern und -vertreterinnen des Kraftfahrzeuggewerbes im Gespräch, um mit der Branche gemeinsam zukünftige Standards in Bezug auf Nachhaltigkeit zu entwickeln.

In welchen weiteren Bereichen sehen Sie Potenzial?

Bei der Beseitigung von Gebäudeschäden. Allerdings stehen wir hier noch vor Herausforderungen: Denn einen Schaden nachhaltig reparieren zu lassen, etwa durch eine verbesserte Dämmung oder dreifach verglaste Fenster, kostet Geld. Wir zahlen heute schon eine Wiederherstellung nach aktuellsten Umweltauflagen. Wir wollen zukünftig aber mehr tun. Denkbar ist, dass wir unsere Kunden und Kundinnen zukünftig beraten, wie und mit welchen Maßnahmen sie ihren CO2-Ausstoß weiter reduzieren können. Was wir nicht tun können, ist beispielsweise dem Kunden nach einem Schadenereignis ein Solardach zu finanzieren, das er bisher nicht hatte. Denkbar wären Produkte, die solche Mehrleistungen anbieten, doch die wenigsten unserer Kundinnen und Kunden sind heute bereit, hierfür höhere Prämien zu zahlen. Deshalb arbeiten wir noch an Lösungen.

Auch die Kapitalanlage nannten Sie als Teil der zweiten Säule, also des Kerngeschäfts. Was tun Sie hier für mehr Nachhaltigkeit?

An diesem Punkt sind wir relativ weit. Wir haben den CO2-Fußabdruck unserer Investments untersucht und unser Portfolio bereits verbessert, jedenfalls nach unseren internen Berechnungen.

Wir haben bis jetzt über Nachhaltigkeit im eigenen Betrieb und im Kerngeschäft gesprochen. Wie sieht es auf der Kundenseite aus?

Das ist die dritte Säule. Und da stehen wir noch am Anfang, denn es ist nicht einfach, den CO2-Fußabdruck unseres sehr vielfältigen Kundenspektrums zu berechnen – vom Privatkunden über den gewerbetreibenden Friseur oder Bäcker bis zum mittelständischen Unternehmen. Aber wir arbeiten an dieser Berechnung und haben längerfristig das Ziel, dass auch die CO2-Emissionen in unserem versicherten Portfolio gegen Null gehen. Schon vor Jahren haben wir beschlossen, dass wir Kohlekraftwerke nicht mehr versichern wollen, weil sie nicht in die nachhaltige Welt passen, die wir brauchen. Wir wollen unsere Kunden auf ihrem Weg zu mehr Nachhaltigkeit begleiten. Hierzu entwickeln wir neue Ideen und müssen einfach auf andere Dinge setzen.

Wie können Sie Ihre Kundinnen und Kunden unterstützen, nachhaltiger zu werden?

Unser Weg ist nicht, zu belehren, sondern zu informieren, Anreize zu setzen und konkrete Lösungen anzubieten. Beim Thema Elektromobilität entwickeln wir gerade mit unseren Industriepartnern den Onlinemarktplatz „Electrizone“. Es gibt immer noch zu viele Mythen. Dabei ist die CO2-Bilanz eines E-Autos über seine gesamte Lebensdauer deutlich besser als die eines Verbrenners – trotz der aufwendigen Akkuproduktion. Vor allem, wenn es mit Ökostrom betankt wird.

Die Sachversicherung ist geschäftlich direkt betroffen, wenn es zu Naturkatastrophen mit entsprechenden Schäden kommt. Was entgegnen Sie, wenn jemand sagt, sie seien aus egoistischen Motiven für mehr Nachhaltigkeit?

Ich habe drei Kinder und möchte, dass sie in einer nachhaltigen Welt ein glückliches Leben führen können. Ist das egoistisch? Ich finde es kein verwerfliches Prinzip, denn meine Kinder sind Teil der Gesellschaft. Ich möchte weder als Versicherer noch als Mensch, dass der Klimawandel schlimmer wird, Naturkatastrophen häufiger auftreten, dass wir solche Schicksale wie jene im Ahrtal regelmäßig sehen, dass die Sahara immer größer wird und Menschen verdursten oder ihre Lebensgrundlage verlieren. Das alles ließe sich weiter ausführen und zeigt, worum es bei Nachhaltigkeit wirklich geht: darum, dass alle Menschen überall davon profitieren. Ob das egoistisch ist, darf jeder für sich bewerten, dass es aber in jedem Fall das Richtige ist, darüber sind wir uns zum Glück trotzdem einig.