Interview mit einem Bestattungsforscher

Tod im Wandel

15. März 2018 – Interview: Andreas Marx
Unser Umgang mit dem Tod wandelt sich: Er wird individueller, aber auch öffentlicher und digitaler. Ein Gespräch mit Prof. Dr. Norbert Fischer über Haus­tiere im eigenen Grab, Diamant­bestattungen und den Wunsch nach Würde

Herr Professor Fischer, ist der Friedhof ein Auslauf­modell?

Das nicht, aber er hat Konkurrenz bekommen. Zwei Trends lassen sich ausmachen: So sind sowohl Aschenbeisetzungen in Urnengräbern als auch Naturbestattungen im Friedwald oder Ruheforst gegenüber Erdbeisetzungen gestiegen. Im Ausland gewinnen See-, Fluss- und Meeresbestattungen, aber auch Bergbestattungen immer mehr an Popularität.

Woher kommen diese Trends?

Früher hatten Geistliche einen viel größeren Einfluss auf Bestattungen. Das ist heute mit der Loslösung von der Kirche nicht mehr der Fall. In Großstädten wie Hamburg sind mehr als die Hälfte der Bestattungen nicht kirchlich. Im katholisch-ländlichen Raum herrschen die kirchlichen Liturgien aber noch immer vor. Auch die klassischen Elemente einer Bestattung wie Rede, Musik oder Gesang haben sich noch erhalten, sie werden aber inhaltlich viel individueller gestaltet. So haben das Abspielen der Lieblingsmusik oder Ansprachen von Trauerrednern an Popularität gewonnen.

Was steckt hinter dieser Ent­wicklung?

Unsere heutige Gesellschaft ist vor allem durch Individualisierungsprozesse gekennzeichnet: Familiäre Strukturen und gesellschaftliche Institutionen wie die Kirche und Berufsverbände verlieren zunehmend an Bedeutung, wohingegen Mobilität und fakultative Vereinigungen wie Sport-, Freizeit- und Kulturvereine immer wichtiger werden. All dies hat zu einer Verflüssigung bisher starrer gesellschaftlicher Strukturen geführt. So hat der Friedhof mit seinen kirchlich-familienbezogen geprägten Grabstätten schrittweise seine alleinige Bedeutung als Schauplatz von Trauer und Erinnerung verloren.

Wie verändert das den Friedhof?

Er wird finanziell unter Druck gesetzt, weil ihm Gebühreneinnahmen entgehen. Weil sich Zehntausende in Deutschland oder im Ausland einäschern lassen, haben Friedhofsbetreiber mit Platzüberhang zu kämpfen. Diese Flächen müssen aber weiterhin gepflegt werden, was in der Regel durch Gebührenerhebungen geschieht. Auf der anderen Seite reagieren sie darauf, indem sie selbst alternative Bestattungsformen anbieten, wie etwa Bestattungswälder auf Friedhöfen.

Diamonds are forever: Aus der Asche Verstorbener können sich Hinterbliebene heutzutage auch Diamanten pressen lassen. Foto: Anzenberger/ Reiner Riedler

In anderen europäischen Ländern gibt es viel mehr Möglich­keiten für Natur­bestattungen, aber auch Varianten wie Luft- oder Diamant­bestattungen. Warum ist das in Deutschland anders?

In Deutschland ist die Bestattung Sache der Länder und sehr bürokratisiert. Hierzulande gibt es auch eine starke Stellung der kommunalen und kirchlichen Friedhofsträger, die im Jahr 2003 beispielsweise die Aufhebung des Friedhofszwangs in Nordrhein-Westfalen unterbinden konnten. In Bremen jedoch kann man seit Januar 2015 seine Asche im Vorgarten bestatten oder auf ausgewiesenen Flächen verstreuen lassen. Bislang wurde diese Möglichkeit keine 100 Mal genutzt.

Gibt es weitere Ent­wicklungen?

Auf bestimmten Friedhöfen kann man sich seit zwei Jahren mit seinem Haustier bestatten lassen, was jedoch bürokratisch streng geregelt ist: Das Tier muss vor dem Tod des Besitzers eingeäschert werden und wird im Sterbefall dann als Grabbeilage hinzugegeben. Das ist eine Reaktion auf die Tierfriedhöfe, die wie Pilze aus dem Boden sprießen. Dadurch erhoffen sich die kommunalen Verwaltungen eine Chance, sich Kundschaft zurückzuholen.

Wie verändert sich denn unser Umgang mit dem Tod noch?

Neu ist die digitale Trauer. Wir haben festgestellt, dass auf Facebook-Profilen ungewöhnlich lange und vielfältig getrauert wird. Durch die sozialen Medien sind wir geneigter, mehr von uns preiszugeben und somit auch unsere Trauer öffentlich auszudrücken. Hinzu kommt die Ausweitung der Trauer auf den öffentlichen Raum. Neben den Kreuzen an Straßenrändern als früheste Beispiele zeigen sich immer häufiger Trauerbekundungen für Privatpersonen im öffentlichen Raum, etwa bei Opfern von Verbrechen. Wir sehen heute viel öfter Andachtsstellen mit Trauerlichtern und Kondolenzkarten als früher.

Der französische Historiker Philippe Ariès bemerkte schon in den 1970ern, dass der Tod in den Industrieländern seit einem halben Jahrhundert aus dem Alltag verschwunden sei. Warum stirbt man nicht mehr zu Hause?

Das ist eine längere historische Entwicklung, die mit der Institutionalisierung von Krankheit, Sterben und Tod zusammenhängt. Seit dem Aufkommen der Krankenhäuser im 18. Jahrhundert haben sie zunehmend die Aufgabe des Sterbeortes übernommen, neuerdings aber auch die Altenpflegeheime. In Deutschland liegt der Anteil derer, die in solchen Institutionen sterben, bei 70 bis 80 Prozent. Dies hängt mit der zunehmenden Professionalisierung der Betreuung und dem medizinischen Fortschritt einerseits zusammen, andererseits mit der zunehmenden Auflösung der Generationenbindung.

Ist der Tod durch sein Out­sourcing ein Tabu­thema geworden?

Natürlich ist uns die Routine durch diese Entwicklung verloren gegangen. Und in Deutschland führte der Zweite Weltkrieg durch die zigfache Erfahrung des Todes und durch den Holocaust zu einem Verdrängen des Themas in der Nachkriegszeit. Heute aber kann man von einem Tabu nicht mehr reden – im Gegenteil. Wir reden sehr aufgeklärt über Sterben, Tod und Trauer.

Was gehört heute zu einer ver­ant­wortungs­vollen Vor­bereitung auf das eigene Sterben?

Eine Patientenverfügung sollte vorhanden sein. Darüber hinaus sollte natürlich geregelt sein, wer die Kosten der Bestattung übernimmt. Viele Bestatter bieten dafür entsprechende Möglichkeiten wie einen Sparvertrag an. Wichtig finde ich auch, dass man gegenüber Familienmitgliedern äußert, wie man bestattet werden möchte.

Eine Bestattung ist teuer, das Sterbe­geld ab­ge­schafft. Können sich ärmere Haus­halte eine würde­volle Be­erdigung über­haupt noch leisten?

Man müsste dazu erst einmal definieren, was eine würdevolle Bestattung ist und was sie kosten darf. Aber Würde und Kosten sind meiner Meinung nach nicht gekoppelt. Ein großes Problem hingegen ist es, wenn isolierte Menschen in Großstädten die Sozial- oder Ordnungsamtbestattung in Anspruch nehmen müssen. Die Anzahl dieser Fälle steigt, und das ist natürlich keine würdevolle Bestattung. Um diese Menschen sollte man sich als Stadt und Gemeinde, aber auch als Gesellschaft kümmern. So gibt es, vergleichbar den Einrichtungen der Tafel, auch in einzelnen Städten privatbürgerlich-ehrenamtliche Initiativen, die sich um eine würdevolle Beisetzung und mit Namen gekennzeichnete Grabstätte für Unbemittelte kümmern.

Über den Interviepartner: Der Bestattungsforscher Prof. Dr. Norbert Fischer wurde 1957 in Hemmendorf (Niedersachsen) geboren. Nach einer Nahtoderfahrung wandte er sich als Jugendlicher den Themen Sterben, Tod und Bestattung zu. Heute ist er Honorarprofessor und Privatdozent an der Universität Hamburg. Foto: Patrick Ohligschläger

Bildquellen

Diamonds are forever: Anzenberger/ Reiner Riedler

Prof. Dr. Norbert Fischer: Patrick Ohligschläger

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