Stimmbruch. Rente. Beinbruch. Das gebrochene Herz. Waldbrand. Hochzeit. Mauerfall. Euro. Abitur. Was hat das alles bitte schön miteinander zu tun? Eigentlich nichts, und doch hält etwas diese Begriffe zusammen: Sie alle beschreiben Abschied und Verlust – aber auch Wandel und Neubeginn (selbst wenn er noch gar nicht abzusehen ist). Das ihnen allen zugrunde liegende Prinzip heißt: Umbruch. Ein Prinzip, das gleichermaßen fasziniert und ängstigt. Positiv sehen es die einen. Angstvoll erwarten es die anderen. Doch was ist überhaupt ein Umbruch? Laut Definition eine Veränderung, die grundlegend ist und folgenreich. Ein Umbruch umschließt also immer ein „Vorher“, das zu Ende geht, und ein „Nachher“, das beginnt. Es liegt damit in der Natur des Umbruchs, dass er ambivalent wahrgenommen wird. Am „Vorher“ wird festgehalten, weil es vertraut ist und gewohnt, weil es keine Ungewissheiten birgt und jeder Wechsel erst einmal Mühen verursacht. Erst im Rückblick wird dann häufig erkannt, dass das „Nachher“ doch gar nicht so übel gewesen ist. Sondern vielleicht sogar besser.
So wie die Sache mit der ersten großen Liebe. Noch Jahre danach weckt die Erinnerung wehmütige Gefühle. Bis man ihr beim 25-jährigen Abitreffen wieder begegnet. Aus dem verwegenen Herzensbrecher ist ein Langweiler geworden. Glück gehabt, denkt man sich insgeheim.
In der Situation des Umbruchs fällt es schwer, das Vertraute und Gewohnte loszulassen und darauf zu bauen, dass das „Nachher“ besser sein wird. Denn man kennt ja nur das, was man verliert oder aufgibt, nur, was sich ändert. Die Chancen, das Glück womöglich, kennt man nicht.
So überwiegt nach dem Auszug der Kinder häufig die Traurigkeit der Eltern über den vermeintlichen Verlust. Mit Selbstverständlichkeit wird am großen Einfamilienhaus festgehalten, und auch die Kinderzimmer bleiben unverändert: immer bereit für den Besuch. All die Pläne und Ideen für die Zeit, „wenn die Kinder dann mal endlich aus dem Haus sind“, scheinen erst einmal vergessen. Und nur langsam, wenn die neue Situation nicht mehr so neu ist, können die gewonnenen Freiheiten und die Unabhängigkeit genutzt und genossen werden.
Oder der Großvater, der sich vehement gegen ein Smartphone wehrt und dieses „ganze neumodische Zeug“ gar nicht in seinem Leben will. Irgendwann bekommt er dann doch eines zu Weihnachten geschenkt, und seine Enkeltochter erklärt ihm, wie WhatsApp funktioniert. Ein paar Wochen später hat er zahlreiche Chat-Gruppen eingerichtet und ist in ständigem Kontakt zu seinen Enkeln, bekommt Fotos geschickt und kann durch Videotelefonate auf neue Weise am Leben seiner Familie teilhaben.
Aber sich auf das Neue, Unbekannte einzulassen, erfordert Mut und Entschlossenheit. Um den Status quo zu korrigieren und die Angst vor dem „Nachher“ zu überwinden. „Jede Blüte welkt und jede Jugend“, schreibt Hermann Hesse in seinem berühmten Gedicht „Stufen“. Das muss man erst einmal verstehen und – noch schwieriger – für sich akzeptieren. Denn es sind ja gerade die persönlichen Umbrüche, die wir besonders kritisch deuten, viel mehr noch als die gesellschaftlichen, politischen oder wirtschaftlichen. Weil Emotionen mit im Spiel sind, weil unser Grad der Betroffenheit viel höher ist und weil wir uns selbst verändern und entscheiden müssen.
Natürlich ist den meisten von uns klar, dass Veränderungen etwas ganz Normales sind. Für jeden. Leben per se ist Veränderung und Umbruch. Wir durchlaufen Entwicklungsstufen, die oft nicht stetig sind, sondern einhergehen mit Brüchen. Und viele dieser Brüche sind geplant, ja, sie werden unbedingt erwartet. Vom sechsjährigen Jungen mit dem Lichtschwert auf der Star-Wars-Schultüte am ersten Schultag. Von der 17-Jährigen, die mit ihrem stolzen Vater auf dem Abiball tanzt, die große Hochzeit in Weiß mit einem romantischen „Ave Maria“ in der Kirche. Bis hin zur Kindstaufe mit einem schreienden Säugling im Kreise der Familie. All dies sind Rituale für große Veränderungen in unserem Leben. Und diese Umbrüche werden mit Festen geplant und inszeniert.