Frau Küçük, wie erleben Sie persönlich den Wahlkampf?
Ich nehme eine Diskrepanz wahr: Wir erleben einen Hitzesommer mit vielen Waldbränden, aber der Klimawandel wird kaum thematisiert. Wir sehen riesige Sorgen innerhalb der Gesellschaft im Hinblick auf die Konsequenzen der Pandemie. Dieses Ereignis führt jedem seine Verletzlichkeit vor Augen und legt starke globale Zusammenhänge offen: Was ich hier mache, wirkt sich an anderen Orten aus. Wir beobachten eine sich vertiefende Spaltung zwischen Arm und Reich. Vermögen in Deutschland haben sich zum Beispiel innerhalb der letzten 20 Jahre verdreifacht, während im gleichen Zeitraum die Armutsgefährdungsquote gestiegen ist. Und gleichzeitig, trotz dieser großen Herausforderungen, wirkt der Wahlkampf inhaltsleer. Bislang spielt sich leider vieles im Klein-Klein ab und handelt von einem deplatzierten Lacher oder von unsauberen Zitaten in Büchern. Dabei fragt sich ein großer Anteil der Bevölkerung, wie es politisch nach 16 Jahren Angela Merkel weitergehen soll. Gerade Erstwähler, immerhin 4,6 Prozent der Wahlberechtigten, die noch nie ein Deutschland ohne Angela Merkel erlebt haben, möchten wissen: Wer sind eigentlich diese drei Kanzlerkandidat:innen?
Wie möchten Sie Schwung in die Debatte bringen?
Wir möchten nicht in erster Linie den Wahlkämpfenden eine Bühne bieten, sondern die Anliegen der Zivilgesellschaft, Kultur und Wissenschaft in den Mittelpunkt stellen. Deshalb haben wir uns Kooperationspartner ins Boot geholt: Auf dem Podium werden zum Beispiel Marcel Fratzscher vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung und Jutta Allmendinger vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung nachfragen. Wir wünschen uns, dass die Kanzlerkandidat:innen ihre Entwürfe und Prioritäten erklären, wie sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland stärken möchten.
Sie werden die Diskussion moderieren – auf welche Fragen freuen Sie sich am meisten?
Wie können wir dem lauter werdenden Rassismus und Antisemitismus in Deutschland begegnen? Welche konkreten Pläne gibt es, um in Deutschland gleichberechtigte Lebensverhältnisse zu schaffen? Mich würden aber auch die Konzepte interessieren, die die drei verfolgen, um vorausschauend die Lebensgrundlagen der nächsten Generationen zu sichern. Da stellt sich nicht nur die Frage nach Klimagerechtigkeit, sondern es geht auch um soziale, arbeits- und bildungspolitische Aspekte.
Denken und handeln Politikerinnen und Politiker zu kurzfristig?
Gerade in Krisensituationen, wie wir sie jetzt erleben und erlebt haben, entsteht oft der Eindruck: Man befasst sich mit einem Problem, wenn es auftaucht. Die größten Herausforderungen unserer Zeit brauchen aber präventive Konzepte. Das gilt für große Krisen der Gesundheit und des Klimas, aber auch für die Spaltungen in unserer Gesellschaft. Und diese werden wir abfragen. Wir möchten ergründen, wie das Gesamtgefüge – also der Gesellschaftsvertrag – aussehen soll, in dem wir als Gemeinschaft operieren. Auf welchen Werten soll das Gefüge aufgebaut sein, welche Visionen haben die Kanzlerkandidaten? Es gehört zu unserer Aufgabe der politischen Bildung, auch darüber zu informieren.
Wäre es für die Allianz nicht legitim zu sagen: Wir kümmern uns ums Geschäft, der Rest interessiert nicht?
Unternehmen werden immer stärker in die Verantwortung genommen. Die Wirtschaft ist ein wichtiger Teil des gesellschaftlichen Gefüges – und als solcher auch unmittelbar betroffen von gesellschaftlichen Herausforderungen. Besonders die Allianz ist mit ihrem Purpose „We secure your future“ eine Akteurin, die langfristig denken muss. Was sind die großen Risiken für unsere Kundinnen und Kunden? Wer heute jung ist, geht in eine unsicherere Situation hinein als die Generation zuvor. Die Folgen des Klimawandels, die Folgen des demografischen Wandels, die Folgen, die es hätte, wenn der soziale Vertrag innerhalb der Gesellschaft nicht mehr funktionieren würde – all das sind Themen, die für einen Versicherer extrem wichtig sind.
Wie unterscheidet sich die Allianz Kulturstiftung von den Stiftungen anderer Dax-Konzerne?
Wir haben in zweierlei Hinsicht ein besonderes Profil: Als Stiftung der Allianz SE sind wir eine europäische Stiftung, sind international tätig und verfolgen den Satzungszweck, den Zusammenhalt in Europa zu stärken. Darüber hinaus haben wir den Auftrag, besonders den Nachwuchs, die Anliegen der nächsten Generationen, in den Blick zu nehmen.
Was wäre Ihre Wunsch-Schlagzeile, nachdem Herr Scholz, Frau Baerbock und Herr Laschet bei Ihnen im Allianz Forum aufgetreten sind?
Endlich wissen wir mehr darüber, wofür diese drei Menschen wirklich stehen!
20. August 2021 ab 10:30 Uhr: Annalena Baerbock
24. August 2021 ab 15:30 Uhr: Armin Laschet
Bildquellen
Esra Kücük: Jesco Denzel
Kanzlerkandidaten: Laurence Chaperon, gruen.de, Bundesministerium der Finanzen/Photothek, Thomas Koehler