»Ich habe gelernt, meinen Körper einzuschätzen«

20. Juli 2020 – Interview: Detlef Dresslein
Matthias Steiner wurde 2008 Olympia­sieger im Gewicht­heben – obwohl er Diabetiker ist. Hier erzählt er, wie er das schaffte, dass er gern Risiken eingeht und warum seine Gold­medaille nicht versichert ist
Starker Typ: Steiner zeigt, wie fit man auch mit chronischer Krankheit sein kann. Nach der Sportkarriere nahm er 45 Kilo ab

Herr Steiner, Sie wurden als Gewicht­heber Olympia­sieger von 2008 – obwohl Sie seit Ihrem 18. Lebens­jahr an Diabetes erkrankt sind. Wie kam es dazu?

Ich habe eine Grippe verschleppt, aber weitergearbeitet und -trainiert. Dann kam die Quittung: Mein Immunsystem griff die Bauchspeicheldrüse an. Seither bin ich Typ-1-Diabetiker. Und das ist man lebenslang. Was viele nicht wissen: Ob man Typ 1 oder Typ 2 hat, das ist ein himmelweiter Unterschied. Das eine ist eine Autoimmunerkrankung, das andere ist teilweise veranlagt, hat aber auch mit der Lebensweise zu tun.

Das heißt, auch durch Ihre Lebens­weise können Sie nichts mehr an der Er­krankung ändern?

Nein, aber ich kann dazu beitragen, dass es mir gut geht, indem ich mich bewusst ernähre und mich bewege. Ein gesunder Mensch sollte ja auch nicht jeden Tag zwei Tafeln Schokolade und fünf Kilo Fleisch essen. Durch den »schnellen Zucker«, also die kurzkettigen Kohlenhydrate in Fertigprodukten und Süßigkeiten, bekommt ein gesunder Mensch schnell wieder Hunger. Ich auch, aber weil ich Insulin spritzen muss, nehme ich das viel bewusster wahr.

Beim Gewicht­heben gerät der Blut­zucker aber schnell mal aus der Balance?

Ja, in manchen Nächten konnte es passieren, dass ich, wenn ich viel trainiert hatte, mit guten Werten ins Bett ging, und trotzdem kam nachts die Unterzuckerung. Denn der Körper hat »nachgebrannt«, also weiterhin Kohlenhydrate verbrannt. Ich habe mir oft für nachts um drei Uhr den Wecker gestellt, um den Wert zu überprüfen. Denn ich durfte nicht in eine schwere Unterzuckerung fallen. Man wachte dann mit einem schweißdurchtränkten T-Shirt auf, und der Körper war total gebeutelt. Es gab früher ja noch keine Permanent-Glukosemessungen und kein Gerät, das mich nachts weckte. Heute ist das viel, viel einfacher.

Wie haben Sie denn die Liebe zum Gewicht­heben entdeckt?

Mein Vater hat es als Hobby betrieben. Ich habe damals alle möglichen Sportarten ausprobiert, auch passabel Klavier gespielt. Das Gewichtheben hat mich fasziniert, denn es ist eine ehrliche Sportart – eine genormte Hantel, keine Abhängigkeit vom Wetter, und es ist sehr genau messbar.

Gewicht­heben gilt aber auch als anfällig für Doping …

Es hat mich natürlich frustriert, wenn ich sah, wie sich manche Konkurrenten entwickelten. Gott sei Dank sagten mir die ­Trainer, dass es nicht darauf ankommt, wie man mit 16 Jahren aussieht, sondern mit Mitte 20. Denn es braucht einfach Zeit, wenn man sauber arbeitet. Und tatsächlich, diejenigen die damals weit voraus waren, die waren später kaputt und verbraucht. Außerdem gibt es bei Olympia viel strengere ­Kontrollen. Da lassen die Gegner die Finger von den Medikamenten, und ich hatte ’ne echte Chance.

Ist Gewicht­heben riskant?

Eigentlich nicht. Aber ein Risiko gibt’s immer. Mir ist einmal die Hantel in den Nacken gefallen, aber das war blinder Ehrgeiz von mir, weil ich wie ein Holzfäller gehoben habe.

Und wie wirkt sich der Diabetes aus?

Wenn man schlechte Blutzuckerwerte hat, kann es sein, dass die Hantel unkontrolliert irgendwo hinfällt. Also muss man seine Werte sehr engmaschig kontrollieren und Pausen einlegen. Über die Jahre habe ich meinen Körper aber sehr gut einschätzen gelernt.

Ihnen wurde aber mit 18 Jahren geraten, den Sport sein zu lassen …

Damals dachte die Schulmedizin noch, dass die hohen Drücke im Herz-Kreislauf-System nicht gut sind. Aber das ist längst überholt. Denn gerade Muskelmasse ist bei Diabetikern extrem wichtig, weil Muskeln Zuckerfresser sind.

Aber sich mit 18 Jahren so durch­zusetzen, war sicher nicht einfach?

Ich bin schon manchmal trotzig, gerade wenn jemand sagt, dass etwas nicht geht. Als der Blutzucker eingestellt war, bin ich ’ne Stunde auf den Hometrainer, fiel nicht runter und fühlte mich viel besser. Da war klar, dass ich nicht mit dem Sport aufhöre, denn er tut mir gut.

Sie gehen also gern mal kalkulierte Risiken ein?

Ich nenne es: die Komfortzone verlassen. Wer weiterkommen will, der muss ein gewisses Risiko eingehen.

Die Komfort­zone zu verlassen fällt aber vielen schwer …

Der Mensch gibt ungern her, was er hat und was ihm guttut. Mein Vorteil: Wenn man das Größte erreicht hat, wie eben eine olympische Goldmedaille, sieht man manches gelassen.

 
Zur Person
 
Matthias Steiner wurde am 25. August 1982 in Wien geboren, nahm aber Anfang 2008 die deutsche Staatsbürgerschaft an. Im gleichen Jahr gewann er bei den Olympischen Spielen in Peking die Goldmedaille im Gewichtheben in der Klasse über 105 Kilo. 2013 beendete er seine titelreiche Karriere und ist seither Unternehmer in der Fitness- und Ernährungsbranche. Mit seiner Frau Inge hat er zwei Kinder.
 

Nach der Sport­karriere haben Sie unter anderem ein Musik­album auf­genommen und Bücher ge­schrieben – geht man da nicht das Risiko ein, kritisiert zu werden?

Ich verstehe, dass einige da in Schablonen denken – den kennen wir von da, der soll da bleiben. Aber ich kann ja schlecht mit 60 Jahren noch professioneller Gewichtheber sein. Musik habe ich immer gern gemacht, als Kind auch Klavier und Akkordeon gelernt. Die Bücher sind entstanden, weil ich so oft gefragt wurde, wie ich es geschafft habe, abzunehmen. Ich hab ja für den Sport 150 Kilo gewogen, dafür war es super. Aber danach fühlte ich mich damit nicht wohl. Ich wollte abnehmen, es aber so tun, dass es nachhaltig ist und ich schlank bleibe.

Und es ist ja auch immer spannend, etwas Neues zu machen, oder?

Ja, deshalb habe ich auch bei »Let’s Dance« teilgenommen, was ja auch riskant war. Denn da kannst du dich wirklich zum Affen machen. Ich kam ins Finale, und man hat mich geliebt. Wenn man Spaß an etwas hat und davon überzeugt ist, kann nicht viel schiefgehen.

Gehören Sie als Diabetiker zur Corona-Risiko­gruppe?

Das dachte ich, aber mein Diabetologe sagt, wenn man halbwegs gut eingestellt ist und sonst keine Erkrankungen hat, gehört man in meinem Alter nicht dazu.

Trotzdem ist die aktuelle Situation für Sie belastend …

Für mich, für jeden. Aber auch da versuche ich wieder was Positives rauszuziehen. Weil wir unsere Kinder zu Hause unterrichten, haben wir plötzlich eine sehr intensive Zeit mit ihnen.

Die Olympischen Spiele in Tokio wurden um ein Jahr verschoben …

Ja, das war logisch und ist sinnvoll. Die klare Ansage war wichtig, denn jetzt hat jeder die gleichen Voraussetzungen. Für manche wird es ein Vorteil sein, für andere nicht, aber das ist leider Gottes das Leben – es ist hart und ungerecht.

Letzte Frage: Wie gut sind Sie versichert?

Neben der Kranken- und Unfallversicherung habe ich noch eine Kfz-Vollkasko und eine fondsgebundene Lebensversicherung. Die Goldmedaille ist nicht versichert, die hat ja keinen materiellen Wert, da sind sechs Gramm Gold drin, glaube ich. Und den Olympiasieg kann mir ohnehin niemand nehmen.

 
Die Risiko-LV für Diabetiker

Auch Diabetiker möchten, dass der Partner und die Kinder für den Fall der Fälle finanziell versorgt sind und die Rückzahlung eines Kredits zum Beispiel für eine Immobilie gesichert ist. Als Risikogruppe ist der Abschluss einer RisikoLebensver­si­cherung bislang für sie jedoch aufgrund des Krankheitsbildes schwierig bis unmöglich. Das ändert die Allianz mit einer speziellen RisikoLebensversicherung für Diabetiker.

Die Vorteile: Vereinfachtes Aufnahmeverfahren: Ein zentraler Wert für die Bestimmung des Beitrags ist unter anderem der Langzeitblutzuckerwert, also der HbA1c-Wert. Diesen reichen die Kunden für den Abschluss der Versicherung mit ärztlicher Bescheinigung oder Laborbefund ein. So kann die Allianz häufig schon bei Antragstellung entscheiden, ob der Kunde versichert werden kann.

Die Beitragssenkungs­option: Grundsätzlich kann der Beitrag während der Laufzeit variieren. Sinkt der HbA1c-Wert während der Laufzeit, kann dadurch der Beitrag sinken. Steigt der Wert, wird dieser Faktor nicht zu einer Steigerung des Beitrags über den Anfangs­beitrag des Kunden hinaus führen.

 

Bildquellen

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Matthias Steiner im Interview: Hubertus Huvermann