Wer will schon dieser Pinguin sein? Er macht ein paar watschelnde Schritte auf unsicherem Eis, dann wird er von seinem Pinguin-Kollegen mit einem entschiedenen Flossenschlag kopfüber ins Eiswasser geschubst. Immer wieder lässt Yannick Kwik dieses Filmchen unter dem Gelächter der Zuschauer ablaufen: Watscheln, Schlag, Sturz, Gelächter. „I love this video“, sagt er und lässt es gleich nochmal laufen. Der Film illustriert in seinem Vortrag einen der häufigsten Gründe für das Scheitern von Unternehmen: Ärger mit den Business-Partnern.
Über das Scheitern reden, sich so vom vermeintlichen Makel des Misserfolgs befreien, das ist der Sinn der FuckUp Nights (von „fuck up“, englisch für „etwas verbocken“), von denen es inzwischen 159 weltweit gibt. Deshalb haben sich an diesem Abend 1.000 Menschen im Audimax der Goethe-Universität in Frankfurt versammelt. Studenten, Unternehmer und solche, die es werden wollen, bevölkern den Hörsaal. Sie wollen Geschichten über Niederlagen hören, mit den Gescheiterten lachen, daraus lernen und Mut für neue Unternehmungen schöpfen. „Das offene Reden kann der Unternehmerkultur in Deutschland nur guttun“, sagt Elena, die Moderatorin des Abends. Denn Scheitern ist in Deutschland verpönt. Im Gegensatz etwa zu den USA, wo im Silicon Valley das Scheitern geradezu zelebriert wird – als wichtiger Entwicklungsschritt zum Erfolg, aus dem man lernen kann. Auch deshalb schicken große Unternehmen immer wieder Mitarbeiter und Trainees zur FuckUp Night. Frankfurt sei eines der größten Treffen in Europa, sagt Kwik, er wollte schon lange mal vorbeikommen. Der Amerikaner ist heute Chef des weltweiten FuckUp-Netzwerks, das seinen Ursprung in Mexiko hat.
Drei Männer werden an diesem Tag ihre Geschichte erzählen. Drei Geschichten, die bis an die Schmerzgrenze gehen. Da ist Pascal Lauria, der vor bald 20 Jahren mit einem Pizza-Lieferservice fürs mobile Internet gescheitert ist. Und zwar schlicht daran, dass er seiner Zeit voraus war. Mobiles Internet steckte damals noch in den Kinderschuhen, und nach ein paar Monaten war Schluss. Die Schulden von damals zahlt der heute erfolgreiche Unternehmer immer noch ab. „Auch wenn es erst mal widersprüchlich klingt: So ein Totalcrash kann dir den Glauben an die Menschen wiedergeben“, sagt Lauria. „Hilfe kommt meist aus den unerwarteten Ecken.“
Dann tritt Oli Dobisch nach vorne: Mit Truckerbart und schwarzem T-Shirt sieht er aus wie die schmale Kopie von Rocker Lemmy Kilmister. Nicht nur hier unter Geschäftsleuten ist er ein bunter Vogel. Dass er mit seinem Hauptschulabschluss einmal an einer Uni reden dürfe, und dann übers Scheitern, hätte er sich nicht träumen lassen, sagt er. Alle lachen. Er war Polizist, dann Nachtklub-Besitzer, dann Sänger einer Hardrock-Band. Als Künstler ist er glücklich, aber Geld kommt keines rein. Die daraus resultierende Pleite ertränkt er mit Alkohol. Beinahe säuft er sich zu Tode. Nur dank seiner Lebensgefährtin schaffe er den Ausstieg. Heute touren beide erfolgreich mit ihrer Band. Außerdem ist Dobisch als Comedian und Motivationstrainer unterwegs. Heute weiß er, dass ein Künstler immer auch Geschäftsmann sein muss. „Mindestens für Miete und Krankenversicherung muss immer Geld da sein“, sagt er.
Dobisch wie Lauria bekommen mitfühlenden Applaus. Keiner im Publikum ist heute aus Voyeurismus gekommen, scheint es. Manche der Zuhörer sind selbst schon mal gescheitert, wenn es auch wohl nur die wenigsten so hart erwischt hat wie Dobisch. Hier gilt: Wer offen über seine Erlebnisse redet, kann mit Respekt und Anerkennung rechnen. Das Wichtigste: Abgang mit Haltung
Dann tritt Nhan Vu auf. Blaues Businesshemd unter dem Hoodie, die Haare raspelkurz rasiert. Vu ist gerade einmal 36 Jahre alt, kann aber über das Scheitern so unmittelbar berichten wie kein anderer an diesem Abend. Sein FuckUp ist erst drei Monate her. Vu ist Programmierer, arbeitete vier Jahre in der IT-Szene in seinem Geburtsland Vietnam. Als Angestellter einer mittelständischen Druckerei hatte er eine Idee: eine Software, mit der man für Unternehmen Programme erstellen kann, ohne wirklich Code schreiben zu können. Zusammen mit einem Entwickler bastelt er neben seiner Arbeit nachts an dem Programm. Monate geht das so. Als die erste Version fertig ist, sind seine Tage als Angestellter gezählt. Vu und sein Programmierer holen den Chef der Druckerei als dritten Gesellschafter an Bord und starten. Für Vu wird es turbulent: Fachmessen, Kundenakquise – alles neu für ihn. Erste Erfolge kommen, und nach harten Monaten gönnt sich Vu zum ersten Mal Urlaub mit seiner Frau und den zwei kleinen Kindern. Als er zurückkommt und seine Mails checkt, wartet eine Nachricht auf ihn: Die Mitgesellschafter bitten zum Gespräch. Ohne Umschweife sagen sie ihm beim Treffen, dass sie ihn nicht mehr dabeihaben wollen. Er habe sich zu sehr verzettelt. Vu diskutiert nicht: Innerhalb von 24 Stunden packt er seine Sachen und verkündet den Mitarbeitern, dass er aussteigt.
Man könnte sagen, Nhan Vu ist in dieser Geschichte der Pinguin, der ins kalte Wasser geschubst wurde. Aber er sieht das anders. Er wolle sich nicht über seine Mitgesellschafter beklagen, sagt er. Den Fehler sieht er bei allen gleichermaßen. „Warum haben wir nicht offen gestritten?“, fragt er heute. Das sei der Hauptfehler gewesen. Seine Lehre daraus: „Man kann nur mit Partnern zusammenarbeiten, die die gleichen Werte haben.“ Ein Zuschauer fragt, warum er ohne Widerstand gegangen sei. Es hätte ja keine Handhabe gegeben, ihn rauszuwerfen. „Nein“, sagt Vu, das hätte das Unternehmen blockiert. „Das Produkt und die Mitarbeiter haben das nicht verdient.“
Gerade hat Vu erfahren, dass seine ehemaligen Partner einen Millionendeal geschlossen haben. Auch das mache ihn nicht bitter, sagt er tapfer. Für diese Haltung gibt es Applaus und Lob bei Twitter: „Ein Abgang mit Haltung.“ Nhan Vu wirkt an diesem Abend, als wäre er von einer Last befreit. Noch lange stehen Leute aus dem Publikum um ihn herum, stellen Fragen, stecken ihm Visitenkarten zu. Das Wichtigste sei, offen mit dem Scheitern umzugehen, sagt Vu am Ende seines Vortrags. Er hat jetzt neue Projekte, hofft auf das nächste große Ding. Und ist als Berater unterwegs. Für Start-ups natürlich.
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Heiter scheitern: Lêmrich